Anfang der 1990er Jahre machte ein Witz die Runde: „Frage: ‚Was macht Schwarz-Schilling in seinem Büro?‘ – Antwort: ‚Er macht die Post.‘
Die Post war damals ein Staatsunternehmen und Christian Schwarz-Schilling (CDU) war Minister. Heute würde niemand über diesen Witz lachen. Die aufeinanderfolgenden Regierungen unter Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Angela Merkel und Olaf Scholz haben eine Menge Arbeit geleistet und die Postangestellten in Bezug auf Bezahlung, Sozial- und Arbeitsbedingungen „fertig gemacht“.
Längst vorbei sind die Zeiten, in denen Postangestellte Anspruch auf faire Löhne, Arbeitsbedingungen und als Beamte auf eine staatliche Rente hatten. Heute gehört die Postbotenarbeit zu den härtesten und am schlechtesten bezahlten in Deutschland.
Im „Konkurrenzkampf“ mit Arbeitern anderer Logistikunternehmen jagen Postangestellte bei jedem Wetter durch die Straßen, legen täglich 20 Kilometer zu Fuß zurück und heben schwere Gewichte von einem Zeitarbeitsvertrag zum nächsten. Wenn sie mehr als 10 Tage im Jahr krank sind, werden sie wahrscheinlich keine dauerhafte Beschäftigung finden, und niemand im Beruf erreicht das Rentenalter. Das alles bei einem Gehalt von 60 Prozent des Durchschnittslohns in Deutschland.
Deutsche Post DHL Group, wie das Unternehmen seit 2015 offiziell heißt, steht exemplarisch für eine internationale Entwicklung, die die Lebensqualität und Gesundheit der Arbeitnehmer gnadenlos zugunsten der Profitmaximierung opfert.
Die Auflösung der DDR und der Sowjetunion erzwang trotz ihrer stalinistischen Dekadenz eine gewisse Kontrolle über ihre Existenz und nahm den Kapitalisten Anfang der 1990er Jahre alle Zurückhaltung. Ein Jahrzehnt massiver Vermögensanhäufung durch eine Minderheit auf Kosten der Arbeiterklasse.
Milliardäre Oligarchen plünderten Volkswirtschaften in der ehemaligen Sowjetunion und China und ließen die US-amerikanischen und europäischen Aktienmärkte in die Höhe schnellen. Alles, was bisher als wesentlicher Bestandteil staatlicher Dienstleistungen galt – Eisenbahnen, Post, Energie- und Wasserversorgung, Telekommunikation, Krankenhäuser, Wohnungen usw. – wurde von Finanzhaien privatisiert und zerstört.
Als Ende der 1990er Jahre die ersten Finanzkrisen ausbrachen und der Widerstand der Arbeiterklasse zunahm, übernahmen die Sozialdemokraten die Macht. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein britischer Amtskollege Tony Blair (Labour) kündigten einen „Dritten Weg“ an. Sie ersetzten die „Forderung nach Gleichberechtigung“ durch „Werte der individuellen Leistung und des Erfolgs, des Unternehmertums und der Eigenverantwortung“ und führten die neoliberale Politik ihrer konservativen Vorgänger Helmut Kohl und Margaret Thatcher fort.
Mit ihrer „Agenda 2010“ und den Anti-Wohlfahrts-Hartz-Gesetzen beseitigte die Schröder-Regierung alle Hemmnisse für die ungezügelte Ausbeutung, die heute die gesamte Logistikbranche einschließlich der Post kennzeichnet.
Privatisierung der Post
Die Geschichte der Deutschen Post spiegelt dieses Wachstum des Mikrowachstums wider.
Zwischen 1989 und 1995 wurde die staatliche Deutsche Bundespost in drei privat geführte Unternehmen aufgeteilt – Post, Telekom und Postbank. Im Jahr 2000 ging die Deutsche Post an die Börse und wurde in den Folgejahren zu einem weltweit tätigen Logistikunternehmen ausgebaut (Übernahme von DHL). Mittlerweile beschäftigt der Konzern rund 600.000 Mitarbeiter in 220 Ländern und Territorien (fast ein Drittel davon in Deutschland) und bezeichnet sich selbst als „weltweit führenden Logistikkonzern“.
Die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau hält noch 20,5 Prozent der Anteile. Größte Einzelaktionäre sind die US-Private-Equity-Gesellschaft BlackRock mit 4,9 Prozent und die US-Bank Goldman Sachs mit 4,2 Prozent. Der Rest der Aktien wird frei schweben.
Für Manager und Aktionäre erwies sich die Privatisierung als Goldgrube. Am vergangenen Donnerstag verkündete Post-Chef Frank Appel einen Rekordgewinn (EBIT) von 8,4 Milliarden Euro für das abgelaufene Geschäftsjahr bei einem Umsatzplus von 15 Prozent auf 94,4 Milliarden Euro. Seit der Übernahme durch Appel vor 15 Jahren hat sich der Umsatz verdoppelt und die Dividende verdreifacht. Durch den Rückkauf eigener Aktien im Wert von 2,2 Milliarden Euro soll der Gewinn im kommenden Jahr weiter steigen.
Gewinne und Umsatzsteigerungen gingen alle auf Kosten der weltweiten Belegschaft des Unternehmens.
Bei keinem anderen deutschen Unternehmen klafft die Schere zwischen Vorstandsvergütung und Durchschnittsverdienst so weit auseinander wie bei der Deutschen Post. Vor fünf Jahren ergab eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass Post-Chef Frank Appel 232-mal mehr verdiente als der durchschnittliche Postangestellte. Bei anderen Dax-Indexunternehmen verdienten Vorstandsvorsitzende „nur“ durchschnittlich 97-mal und Führungskräfte 71-mal. Im Jahr 2014 verdienten Führungskräfte 57-mal mehr als normale Angestellte.
Andererseits sind die Realeinkommen der Postangestellten weiter gesunken. Ihr Einstiegsgehalt beträgt weniger als 2.500 Euro (brutto) im Monat, nur 61 Prozent des Durchschnittsgehalts von Vollzeitbeschäftigten, das im April 2022 bei 4.105 Euro (brutto) lag.
Im Dezember letzten Jahres veröffentlichte das Central Bureau of Statistics Statistiken für den gesamten Post- und Paketdienstsektor, die eindeutig eine massive Ausbeutung zeigten.
Demnach stiegen die monatlichen Gesamtverdienste bei Post- und Paketdienstleistern zwischen 2011 und 2021 nur um 6 Prozent, bei Facharbeitern mit abgeschlossener Berufsausbildung nur um 3,6 Prozent. Der Gesamtumsatz der deutschen Wirtschaft stieg dagegen um 24 Prozent. Die Verbraucherpreise stiegen im gleichen Zeitraum um 14,6 Prozent, was bedeutet, dass die Postangestellten in den 10 Jahren einen Reallohnverlust von 10 Prozent hinnehmen mussten.
Gleichzeitig verrichten sie ihre Arbeit unter sehr schwierigen Bedingungen. Im Jahr 2021 arbeiteten 60 Prozent am Wochenende, 14 Prozent zwischen 23 und 6 Uhr und fast ein Drittel hatte irreguläre Arbeitsbedingungen. Die Gesamtbelegschaft ist in 10 Jahren um ein Fünftel auf 530.000 gestiegen, der Umsatz hat sich im gleichen Zeitraum auf 54,4 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.
Verdis Charakter
Wie oben erwähnt, setzen sich alle Regierungsparteien in Deutschland dafür ein, den Post- und Logistiksektor zu einem Niedriglohnsektor zu machen. Die Gewerkschaft Verdi spielte dabei eine wichtige Rolle. Ohne die tatkräftige Unterstützung der Gewerkschaft wäre der Angriff auf die Postangestellten nicht möglich gewesen und sie hätten längst rebelliert.
2001 schlossen sich die Postgewerkschaft und vier weitere Gewerkschaften zur Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (VERDI) zusammen. Frank Pisirske übernahm die Präsidentschaft und behielt diese Position für die nächsten 18 Jahre. Pisirske hatte bereits bewiesen, auf welcher Seite des Klassengefälles er stand. In den vier Jahren vor 2001 entließ Bieserske als Personalchef Hannovers 1.000 der 16.000 Stadtbediensteten. Als Mitglied der Grünen, wo er jetzt im Bundestag sitzt, steht er in engem Kontakt mit der rot-grünen Regierung, die den Sozialabbauplan Agenda 2010 durchgesetzt hat.
Gut bezahlte Gewerkschaftsbürokraten, die in Regierungsbüros und Konzernzentralen hin und her pendeln und ein Vielfaches mehr verdienen als die Mitglieder, die sie vorgeben zu vertreten, profitieren persönlich von der Ausbeutung der Arbeiter. Dem Aufsichtsrat der Post gehören 10 Verdi-Vertreter an, die für ihre Mitarbeit jährlich mehr als 1 Million Euro erhalten.
Im Jahr 2015 konnten Pisirske und Co, das Postamt, die Proteste gegen Angriffe auf Arbeiter nicht eindämmen. Nachdem es begonnen hatte, Tausende von Zustellarbeitern an ein neu gegründetes regionales Unternehmen namens DHL Delivery auszulagern, verdienten die Arbeiter 20 Prozent weniger, was die Gewerkschaftsbürokraten zwang, einen Streik auszurufen.
Verdi hatte von Anfang an nicht die Absicht, irgendeinen Kampf gegen die Postverwaltung zu führen. Die Gewerkschaft weigerte sich, alle Postangestellten zu mobilisieren, beschränkte die Streikforderungen auf wenige Themen und beendete den Streik nach vier Wochen. Die DHL-Lieferungen wurden wieder aufgenommen, die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung wurden fallen gelassen und die geizigen Lohnerhöhungen, die Verdi zugesagt hatte, um nicht einmal die Inflation zu decken.
In den Folgejahren stimmte Verdi weiteren Lohnkürzungen zu, die bei der offiziellen Inflationsrate von nunmehr 8,7 Prozent die Existenz vieler Postangestellter bedrohten. Mit einem so geringen Einkommen in einer Großstadt zu leben ist einfach unmöglich, geschweige denn eine Familie zu ernähren.
Vor diesem Hintergrund spielt sich die aktuelle Lohnkrise ab. Die Postangestellten zwangen Verdi, mit einer Forderung von 15 statt 10 Prozent in Verhandlungen zu treten.
Aber anstatt einen Streik zu organisieren, kehrte Verdi an den Verhandlungstisch zurück und präsentierte innerhalb von 48 Stunden einen ähnlichen Deal wie das Angebot, das die Gewerkschaftsmitglieder zuvor abgelehnt hatten. Die Mitglieder müssen jetzt abstimmen. Doch während die Satzung der Gewerkschaft eine 75-prozentige Zustimmung für einen Streikbeschluss vorschreibt, reichen 25 Prozent aus, um den Tarifvertrag anzunehmen – und so einen Streik zu verhindern.
Die Gewerkschaft ist aus mehreren Gründen über Arbeitskampfmaßnahmen alarmiert. Sie befürchtet, dass ein Streik bei der Post die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst ermutigen könnte, mit denen die Gewerkschaft derzeit Vertragsverhandlungen führt. Sie befürchtet auch, dass der Kampf auf Deutschland und andere Logistikunternehmen in Europa übergreifen und Teil einer internationalen Offensive der Arbeiterklasse werden könnte, die die Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaft bedroht. In Frankreich, Großbritannien und vielen anderen Ländern gehen bereits Millionen gegen Rentenkürzungen, Sozialabbau und sinkende Löhne auf die Straße.
Verdi befürchtete vor allem, dass ein militanter Arbeitskampf den Nato-Krieg gegen Russland und die massive Aufrüstung Deutschlands, die sie voll und ganz unterstützt, gefährden würde. Die Bundesregierung gibt der Bundeswehr zusätzliche 100 Milliarden Euro für die Umstrukturierung und hat damit geprahlt, im vergangenen Jahr 14 Milliarden Euro zur Unterstützung der Ukraine investiert zu haben, obwohl sie Berichten zufolge kein Geld für Arbeiterlöhne und Sozialleistungen hat.
Die Entwicklung der letzten 30 Jahre hat gezeigt, dass es im Tenure-Streit nicht nur um die Bezahlung geht. Es war unmöglich, menschenwürdige Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen, ohne einen politischen Kampf gegen die Regierung, ihre Verbündeten in der Gewerkschaft Verdi und das kapitalistische Profitsystem zu führen.
Damit die Arbeiter den Streik selbst in die Hand nehmen und Verbindungen zu anderen Arbeitern in den globalen Konzernen, im Logistiksektor, im öffentlichen Sektor und in der Privatindustrie aufbauen können, ist es notwendig, ein Aktionskomitee der Post zu bilden.
Gleichzeitig sollten die Socialist Equality Party (PSG) und die Vierte Internationale zu einer neuen Arbeiterpartei ausgebaut werden, die den Kampf gegen Ausbeutung und Krieg mit einem sozialistischen Programm verbindet, das sich an den Bedürfnissen der Gesellschaft orientiert, anstatt die Forderungen der Gesellschaft zu befriedigen für Gewinn. Reich.
„Internetlehrer. Zertifizierter TV-Enthusiast. Bierlehrer. Bedingungsloser Popkultur-Enthusiast. Web-Stipendiat.“
More Stories
Deutschland verschärft Waffengesetze und Asylbestimmungen nach Messerstecherei in Solingen | Deutschland
Dollar-Knoten sind mehr als nur Kerndaten; Der Euro schwächt sich aufgrund der deutschen Inflation ab, von Investing.com
Deutschlands wachstumsstarkes Technologieunternehmen Northern Data und zwei weitere vielversprechende Aktien